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dem H. grafen wieder ingleichen einen tritt im arsch zu geben.

›Le nozze di Figaro‹: Hintergründe und Hintergründigkeiten (2007)

Vorweg Zu Beginn ein nur kurzes Glück. Wenige Takte währt die Unbefangenheit, dann greift Ernüchterung um sich, schon in der Mitte des zweiten Duettinos. Im tändelnden Zwiegesang ist Zwietracht im Anzug. Die Idylle, in der Figaro sich mit Susanna wähnt, hat doppelten Boden. Die Idylle, welche die Gräfin und der Graf sich einst erträumten, ist Fassade. Die Idylle also trügt, ist brüchig geworden. Nichts ist, wie es scheint. Vielleicht war auch nie etwas, wie es schien. Der Boden gerät ins Wanken, tragende Wände sind schnell abgetragen. Schutzlos finden sich die Protagonisten auf sich selbst zurückgeworfen. Und all die Lazzi um Figaros Hochzeit zielen hin auf ein Drama der Existenzkrisen. Zwischen Vertrauen und Misstrauen ist ein schmaler Grat. Nicht immer entspringt die Eifersucht der Einbildung, doch der Wahn vervielfacht die Wahrscheinlichkeiten. Während die Männer noch glauben, die Geschichte zu beherrschen, haben diese die Frauen längst zu der ihren gemacht und ebenso lehrreich wie belehrt versucht, eine Revolution der Liebe anzuzetteln. Das Finale, gelesen als eine Utopie von Beziehung? Utopie meint „Nicht-Ort“ und bedeutet, so lehren die Lexika, „unausführbar geltender Plan, Wunschbild, Vorstellung ohne reale Grundlage“. Denn wer findet schließlich mit wem wirklich sein Glück?

Le nozze di Figaro führt variantenreiche Paarungen vor. In der Reihenfolge des Alters sind dies: Barbarina und Cherubino (die Turbulenzen der Hormone), Susanna und Figaro (die heiratswilligen Existenzgründer), Gräfin und Graf (die erkaltete Ehe), Marcellina und Bartolo (die verspätete Zuneigung). Spürt man den Wünschen und Begierden nach, so finden sich: Cherubino und die Gräfin, der Graf und Susanna, Susanna und Cherubino, Barbarina und der Graf, Marcellina und Figaro ...   Gefährliche Liebschaften! Es ist kein Zufall, dass Les liaisons dangereuses demselben Zeitalter entsprungen sind. Dabei lag auch das Skandalon dieses Briefromans von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos weniger in der aufgeladenen erotischen Atmosphäre als in der Darstellung der zynischen Abgefeimtheit der adligen Protagonisten: Das Zeitgemälde einer dekadenten, verkommenen Herrscherschicht, reif für den Sturz. Messer und Scheren wurden gewetzt. Alte Zöpfe sollten abgeschnitten werden. Adlige Köpfe sollten rollen.

Natürlich ist Le nozze di Figaro eine Komödie. Der Textdichter weist das Werk als „comedia per musica“ aus, der Komponist selbst trägt es als „opera buffa“ in sein Werkverzeichnis ein. Wolfgang Amadé Mozart und Lorenzo Da Ponte haben – auf der Grundlage von Beaumarchais’ Schauspiel La folle journée ou Le marriage de Figaro – ein brillantes, unterhaltendes Stück Musiktheater geschaffen. Doch „augenblicksweise tut der Abgrund Mensch sich auf, in den hinabzuschauen es einen Büchner schaudern wird“, meint der Schriftsteller Julian Schutting, „für Augenblicke gibt Mozart den Blick auf in einer Menagerie gehaltene Bestien frei, durch ein schönes Gitter aus Schmiedeeisen, deckt aber gleich den Abgrund Mensch wieder zu!“ Wahrhaft gute Komödien zeichnen sich eben auch dadurch aus, dass sie die Tragödie in sich tragen. Dabei ist Le nozze di Figaro eine Komödie nicht nur einfach deshalb, weil sie von ihren Schöpfern so genannt wurde. Das Werk ist dicht durchzogen vom bewährten Mechanismus der Komödie: Von Türen, Briefen, Heiratsverträgen, Canzonetten, Verkleidungen und den daraus entwachsenden Irrungen, Verwirrungen, Missverständnissen, Verwunderungen, Verwechslungen und Blamagen. Natürlich ist Le nozze di Figaro eine Komödie auch deshalb, weil hier jenseits der Situationskomik über uns Menschen, kopfschüttelnd zwar und vielleicht auch nur insgeheim, viel zu lachen ist.

Zeiten des Umbruchs Oper wie Schauspiel: Die Hochzeit des Figaro ist ein Werk aus dem Geist der französischen Revolution. Europa kommt in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nicht zur Ruhe. Den Bürger drängt es endlich zur Emanzipation. Es kann nicht weiter angehen, dass die Aristokratie, weil sie im Besitz ist, dadurch auch unangefochten im Recht wohnt. Die Einschränkung der Feudalrechte, die zunehmend als blanke Willkür angeprangert werden, erscheint als Gebot der Stunde. Beaumarchais wie Da Ponte und Mozart erlebten ein Klima, das man heute als »political heating« bezeichnen könnte. In Frankreich entlud es sich schließlich am 14. Juli 1789 im Sturm auf die Bastille. Am 26. August 1789 folgte die „Erklärung der Menschenrechte“. Kurz nachdem im Herbst 1791 eine Verfassung Frankreich zur konstitutionellen Monarchie formte, stirbt Wolfgang Amadé Mozart am 5. Dezember. Er hat nichts mehr erfahren von den Septembermorden des Jahres 1792, von der Abschaffung des Königtums und der Einführung der Republik, von der Hinrichtung Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes, vom Terror der Jakobinerherrschaft und dem pausenlosen Wüten der Guillotine. Aber er und Lorenzo Da Ponte hatten im österreichischen Wien die Anspannung noch gespürt, mit der man das gefährliche Gären im benachbarten Frankreich beobachtete.

In Frankreich zum Beispiel wurde Beaumarchais’ Schauspiel La folle journée ou Le marriage de Figaro (Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro – wobei „folle“ eher bedeutet: irr, irre, irrwitzig, verrückt, geistesgestört, rasend, wahnsinnig) als aufrührerisch und daher gefährlich angesehen. In Wien gab die Zensur das Stück zunächst zwar frei, doch drei Tage vor der geplanten Premiere schaltete Kaiser Joseph II. die Behörden erneut ein. Auch ohne ein ausdrückliches Verbot ging Beaumarchais’ Stück nicht über die Bühne. Trotz des vergleichsweise durchlässigen Kulturklimas in der Habsburgermetropole war und blieb dieser Tolle Tag ein heißes Eisen. Es war Wolfgang Amadé Mozart wohl bewusst, welches Stück er selbst dem Hofpoeten Lorenzo Da Ponte zur Vertonung vorgeschlagen hatte. Der Weg zur Uraufführung der Oper am 1. Mai 1786 im Nationaltheater nächst der k. k. Burg war von mancherlei Hindernissen begleitet. Und es mochte nicht von ungefähr kommen, dass sich nach dem Figaro viele der Wiener Freunde von dem Komponisten abzuwenden begannen. Dass sich Komödien glänzend eignen, der Gesellschaft und dem Einzelnen einen Spiegel voller Wahrheit an die Hand zu geben, weist sich bis heute jedes Mal aufs Neue. Lächeln, so meinte Charly Chaplin einmal, sei eben die schönste Art, die Zähne zu zeigen. Doch man lacht nicht ungestraft über die Gönner.

Mozarts Wachheit, Mozarts Wut Es sind keine Äußerungen Wolfgang Amadé Mozarts über das Anrollen, das Explodieren und das erste Wirken der französischen Revolution überliefert. Aus dem sehr umfangreich erhaltenen Briefwechsel der Familie während Wolfgang Amadés großer Reise über München, Augsburg, Mannheim und Paris aus den Jahren 1777 und 1778 wissen wir aber, dass neben Kunst, Klatsch und Karriere mit großer Aufmerksamkeit auch aktuelle politische und militärische Konstellationen besprochen wurden. In Paris lebte Mozart dann fast drei Monate im Zentrum der französischen Aufklärung – Immanuel Kant definierte sie als das „Ausgehen des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ –, deren Idealen er später als Freimaurer nahestand. In der Loge „Zur Wohltätigkeit“, später in der „Zur neugekrönten Hoffnung“ verkehrten aufmerksame Beobachter der gegenwärtigen Begebenheiten. In seiner Bibliothek fanden sich Werke der beargwöhnten Aufklärer ebenso wie Johann Rautenstrauchs Übersetzung von Beaumarchais’ Figaro. Er las aufmerksam Zeitungen und Journale. Selbst als in Wien die Zensur nach 1789 den Informationsfluss ins Stocken brachte, verschaffte sich Mozart Einblick in das Weltgeschehen. Während seines Aufenthaltes im Oktober 1790 in Mainz – eine schon damals exponiert freigeistige Stadt, in der bereits 1793 die „Mainzer Republik“ ausgerufen werden sollte – logierte er gegenüber dem „Kasino zum Gutenberg“, wo sich ein namhafter Lesezirkel samt freier Presse fand. Seiner Frau Constanze empfiehlt er, nächstens gemeinsam dieselbe Reise zu tun: „dabey wird dir auch die unterhaltung, Motion, und Luftveränderung gut thun, so wie es mir herrlich anschlägt“.

So hochgestimmt Mozart über ein mögliches neues Zeitalter frohlocken konnte, so unerbittlich konnte er sich auch über die Vertreter der alten Ordnung äußern. „– ihnen zu gefallen, mein bester vatter,“ schreibt der Sohn am 19. Mai 1781 an Leopold Mozart, „wollte ich mein glück, meine Gesundheit, und mein leben aufopfern – aber meine Ehre – die ist mir – und die muß ihnen über alles seyn. – lassen sie dieses dem Graf Arco lesen und ganz Salzburg. – nach dieser beleidigung – nach dieser dreyfachen beleidigung, dürfte mir der Erzbischof in eigener Person 1200 fl. Antragen, und ich nehme sie nicht – ich bin kein Pursch, kein Bub – und, wenn sie nicht wären, so hätte ich nicht das drittemal erwartet, daß er mir hätte sagen können, scherr er sich weiter, ohne es für bekannt anzunehmen; was sage ich: erwartet! – ich, ich hätte es gesagt, und nicht er! – (...) – fürst Breiner und Graf Arco brauchen den Erzbischof, aber ich nicht. –“ Am 13. Juni des Jahres folgen die Zeilen: „da schmeist er mich zur thüre hinaus, und giebt mir einen tritt im hintern. – Nun, das heisst auf teutsch, daß Salzburg nicht mehr für mich ist; ausgenommen mit guter gelegenheit dem H. grafen wieder ingleichen einen tritt im arsch zu geben, und sollte es auf öffentlicher gasse geschehen. –“ Und am 20. Juni legt Wolfgang Amadé noch einmal nach: „das Herz adelt den Menschen; und wenn ich schon kein graf bin, so habe ich vielleicht mehr Ehre im leib als mancher graf; und hausknecht oder graf, sobald er mich beschimpft, so ist er ein hundsfut. – ich werde ihm von anfang ganz vernünftig vorstellen, wie schlecht und übel er seine sache gemacht habe; – zum schlusse aber muß ich ihm doch schriftlich versichern daß er gewis von mir einen fuß im arsch, und noch ein paar ohrfeigen zu gewarten hat“.

Was war in diesem Frühjahr 1781 passiert? Mozart befindet sich mit seinem Dienstherrn, dem Salzburger Fürsterzbischof Graf Colloredo, in Wien. Seine Stelle als Konzertmeister und Organist am Salzburger Hof ist ihm längst zuwider geworden. Katzbuckeleien sind seine Sache nicht. Die fürsterzbischöfliche Enge hat einen Grad der Bedrückung erreicht, der einen Befreiungsschlag geradezu provoziert. Er sucht um seine Entlassung an. Doch der fürsterzbischöfliche ›Oberküchenmeister‹ Graf Arco setzt ihn samt seinem Anliegen per Fußtritt vor die Tür. Im Zorn scheidet er so partout aus den Salzburger Verhältnissen, weil er ihre (ihm auch fortan nie zugebilligte!) Auflösung nicht erwirken kann. Trotzig bleibt er in Wien, dem Wirkungsfeld der nächsten – und letzten – zehn Jahre. Hier und am kaiserlichen Hof hofft Mozart ein autonomeres Wirkungsfeld vorzufinden.   In diesem Jahr, 1781, liest in Paris Pierre Augustin Caron de Beaumarchais den Schauspielern der Comédie française erstmals sein Stück Le mariage de Figaro ou la folle journée vor. „Nein, Herr Graf“, empört sich dort Figaro, „Sie bekommen sie nicht. Weil Sie ein großer Herr sind, halten Sie sich für einen großen Geist …   Adel, Reichtum, ein hoher Rang, Würden, das macht so stolz! Was haben Sie denn getan, um so viele Vorzüge zu verdienen? Sie machten sich die Mühe, auf die Welt zu kommen, weiter nichts; im Übrigen sind Sie ein ganz gewöhnlicher Mensch.“ Die Niederschrift war bereits 1778 erfolgt. Die öffentliche Uraufführung wird erst 1784 stattfinden können.

Zwischen Aufklärung und Agitation Pierre Augustin Caron (1732 – 1799), Sohn eines nicht sehr wohlhabenden Uhrmachers, entwickelt sich zu einem wahren Meister des väterlichen Metiers, macht eine seiner adeligen Kundinnen zu seiner Geliebten, überredet deren Ehemann, ihm eines seiner beiden Hofämter zu verkaufen, heiratet nach dessen Tod die Witwe und nennt sich nach ihrem baldigem Ableben nach dem Gut der Verstorbenen: Monsieur de Beaumarchais. In den Jahren von 1760 bis 1764 findet er sich als Musiklehrer und Günstling der französischen Prinzessin am Hofe Ludwigs XV. In dieser Zeit, in diesem Umfeld, wird das damalige Finanzgenie Pâris-Duverney auf ihn aufmerksam. Beaumarchais knüpft die Bande zwischen dem Financier und dem königlichen Hof, wird Vertrauter, letztlich Nachfolger Pâris-Duverneys. Nach dessen Tod im Jahre 1770 werden Beaumarchais’ Ansprüche angefochten, man prozessiert gegen ihn wegen Unterschriftenfälschung, Unterschlagung, Korruption. 1771 weckt er schlafende, ihm feindlich gesonnene Löwen: Als er die Mätresse des Duc de Chaulnes vor dessen Gewalttätigkeiten schützen will, führt das zu seiner Inhaftierung. Seine ehemaligen adligen Gönner lassen ihn im Stich. Nachdem auch der zweite Prozess verloren ist, geht er – der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig – als königlicher Geheimagent nach England und Deutschland, betätigt sich als Waffenlieferant im amerikanischen Befreiungskrieg, etabliert sich, nach der Aufhebung des Haftbefehls, als führende Handelsmacht in Frankreich. Am Vorabend der französischen Revolution „ist Beaumarchais sicher mehr verhasst und verschrien als bewundert“, stellt Norbert Miller fest, „mehr als viele der hohen Aristokraten und der Steuerpächter gilt er damals als Ausgeburt eines korrupten Regimes, als Verderber der guten Sitten und als Feind des Volkes“. Der Autor des Figaro: ein Unternehmer, Spekulant, Abenteurer, Emporkömmling und Finanzmagnat.

Von Beaumarchais’ Dichtungen ist heute vor allem die Figaro-Trilogie bekannt, und auch hier führt neben Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht (1775) und Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro (1778/1784) das abschließende Stück Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter (1792) ein Schattendasein. Zuvor waren bereits, mit mäßigem Erfolg, die bürgerlichen Rührstücke Eugénie (1767) und Die beiden Freunde (1770) erschienen. Mit dem Barbier erst setzt der Erfolg auch des Schriftstellers Beaumarchais ein. Der wirklich große Coup gelingt dann mit dem Figaro, auch wenn dem Stück ein Stein nach dem anderen in den Weg gelegt wird. Denn selbst wenn der Autor vermerkt, das Stück spiele „im Schloß von Aguas-Frescas, drei Meilen von Sevilla entfernt“ verwundert es nicht, dass Ludwig XVI. die Aufführung zunächst untersagt. Sie wäre, so der König, „eine große Inkonsequenz, wenn man nicht vorher die Bastille niederreißen ließe.“ Freilich war Beaumarchais, wie der Historiker Wolfgang Mantl feststellt, „kein Revolutionär im technischen Sinn, aber er erzielte einen revolutionären Effekt in einer vorrevolutionären Situation, als der Autoritätsverlust und die Delegitimierung des Ancien Régime schon weit fortgeschritten waren.“ Beaumarchais wusste die Empörung zu schüren mit der Erregung über einen Stand, der sich gegenüber seiner weiblichen Untertanen sogar auf ein Entjungferungsrecht berufen konnte. Heute weiß man, dass dieses »ius primae noctis«, das so genannte Recht auf die erste Nacht, juristisch nirgendwo nachweisbar ist. Der Dichter lässt seinen Grafen Almaviva also ein Recht aufheben, das offiziell gar nicht existierte. Eine Fiktion als bewusstes Agitationsmittel gegen den alten Adel? Die Geschichte jedenfalls tut ihre Wirkung. Paris kennt die Komödie von der ersten Vorlesung an, mit der Beaumarchais am 29. September 1781 vor die Schauspieler der Comédie française tritt. Weitere Lesungen – in adligen Salons! – folgen. Unaufhaltsam kursieren zahlreiche Abschriften. Der Ansturm des Publikums auf die letztlich doch freigegebene Uraufführung am 27. April 1784 in der Comédie française enorm ist. Der Abend wird zu einem Event mit gefährlicher Grundstimmung. Das Stück ist in aller Munde, – und nicht nur in Frankreich.

Schikaneders Revanche? Schon nach einem Jahr, am 3. Mai 1785, geht am Hof- und Nationaltheater in Mannheim – wo 1782 auch Schillers Räuber uraufgeführt worden waren! – Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro in deutscher Sprache über die Bühne. Fast hätte diese deutschsprachige Erstaufführung in der Kaiserstadt Wien am 3. Februar 1785 stattgefunden. Und das keineswegs an einem Volkstheater in der Vorstadt. Es war das k. k. Hoftheater nächst dem Kärntnertore, verpachtet an die Schauspieltruppe von Emanuel Schikaneder, die Beaumarchais’ Stück in der Übersetzung von Johann Rautenstrauch einstudiert hatte. Ein grundsätzliches Einverständnis der Zensur musste also bereits erwirkt worden sein. In letzter Sekunde schaltete sich dann doch der Kaiser ein: „Ich vernehme,“ schrieb Joseph II. am 31. Januar 1785 an seinen Polizeiminister, „daß die bekannte Komedie le Mariage de Figaro in einer deutschen Übersetzung für das Kärntnerthortheater angetragen seyn solle; da nun dieses Stück viel Anstößiges enthält; so versehe Ich mich, daß der Censor solches entweder ganz verwerfen, oder doch solche Veränderungen darin veranlassen werde, daß er für die Vorstellung dieser Piece und den Eindruck, den sie machen dürfte, haften werde können.“ Der Kaiser sprach kein ausdrückliches Verbot aus. Er machte vielmehr den Zensor haftbar für die Auswirkungen des Theaterabends. Dem Wienerblättchen vom 4. Februar 1785 entnehmen wir dann die Nachricht: „Das von H. Schikaneder verheißene Lustspiel: Die Hochzeit des Figaro, ist gestern nicht aufgeführt worden und hat selbiges, nach der dem Publiko in dem gestrigen Anschlagzettel mitgetheilten Nachricht, die Censur, zwar zum Drucke aber nicht zur Vorstellung erhalten.“

Die Vorbehalte des Kaisers galten demnach der Aufführung, also der in Aktion übersetzten Handlung, nicht dem bloßen Wort. Der Druck durfte ungehindert verbreitet werden. Die ersten Vorstellungen des Schauspiels in Wien sind erst für die Saison 1802/1803 nachweisbar. Es stand völlig außer Frage, dass Beaumarchais’ Text eine unberechenbare Sprengkraft barg. Darüber waren sich auch Mozart und Da Ponte im Klaren. Dennoch machten sich beide, gänzlich ohne Auftrag, 1785/86 an »ihren« Figaro. Es war, wie Da Ponte berichtet, Mozarts Anliegen gewesen. Der Gedanke liegt nahe, dass auch Emanuel Schikaneder den Stein ins Rollen gebracht haben kann. Der spätere Textdichter der Zauberflöte und Mozart kannten sich bereits gut aus Salzburger Zeiten. Unmittelbar vor dem Bruch des Komponisten mit seiner Heimatstadt hatte Schikaneder mit seiner Truppe das dortige fürsterzbischöfliche Hoftheater bespielt. Die Mozarts besuchten nicht nur die Schikanederschen Aufführungen, Schikaneder selber verkehrte regelmäßig in der gegenüber gelegenen Mozartschen Wohnung. Man stand auf vertrautem Fuße. Und auch in Wien pflegte man fünf Jahre später freundschaftlichen Umgang. Freilich brauchte es Schikaneder nun nicht, um Mozart mit dem Figaro-Stoff bekannt zu machen. Der war ohnehin Thema allerorten. Selbst Leopold Mozart in Salzburg schreibt am 11. November 1785 mit großer Selbstverständlichkeit an seine Tochter: „ich kenne die piece“. Doch auch wenn die Quellen darüber schweigen, haftet der Vorstellung ein gewisser Reiz an: Der Prinzipal des Kärntnertortheaters hätte dem befreundeten Komponisten, der ohnehin zur Widersetzlichkeit neigte, den Figaro-Floh ins Ohr gesetzt, um das Stück über den Oper-Umweg doch noch auf die Bühne zu bringen.

„figaro und Ewig figaro“ Die Arbeit an Le nozze di Figaro ist, glaubt man dem Bericht Lorenzo Da Pontes, nach sechs Wochen beendet; mit dem fertigen Manuskript begibt er sich vor den Kaiser, beteuert sein Bemühen, entschärfend eingegriffen zu haben. Joseph II gibt grünes Licht: „'Gut denn, ich verlasse mich auf Ihren Geschmack und Ihre Umsicht; geben Sie die Partitur zum Abschreiben.' – Einen Augenblick darauf war ich bei Mozart; ich teilte ihm aber diese freudige Nachricht nicht eher mit, als bis eine Depesche ihm den Befehl überbrachte, sich mit seiner Partitur in den kaiserlichen Palast zu begeben. Er leistete Folge und trug dem Kaiser einige Bruchstücke vor, die ihn entzückten. Joseph hatte in Sachen der Musik einen untrüglichen Geschmack, wie überhaupt für alles, was zu den schönen Wissenschaften gehörte.“

Die politische Hürde ist mit dem Einverständnis Josephs II. überwunden. Jetzt gilt es, sich gegen die Intrigen am Hof zu wehren. Über die ursprünglich am 28. April 1786 geplante Uraufführung schreibt Leopold Mozart seiner Tochter: „Es wird viel seyn, wenn er reußiert, denn ich weis, daß er erstaunliche starke Cabalen wider sich hat. Salieri mit seinem ganzen Anhang wird wieder Himmel und Erden in Bewegung zu bringen sich alle Mühe geben. H: und M:dme Duscheck sagten mir es schon, daß dein Bruder eben desswegen so sehr viele Cabalen gegen sich habe, weil er wegen seinem besonderen Talent und Geschicklichkeit in so grossem Ansehen stehe.“ Mit einer kurzen Verzögerung findet die Uraufführung von Le nozze di Figaro dann am 1. Mai 1786 im Wiener Nationaltheater nächst der k. k. Burg statt, unter der Leitung des Komponisten, im Beisein Josephs II. Dass man die Oper in diesem Jahr in Wien nach nur neun Aufführungen aus dem Spielplan nimmt, wird man eher auf den Boykott der Neider und den Widerstand der »Betroffenen« als auf mangelnden Publikumserfolg zurückführen können. Wozu sonst werden Anschlagzettel gedruckt, auf welchen verordnet wird, „dass von nun an, um die für die Singspiele bestimmte Dauerzeit nicht zu überschreiten, kein aus mehr als einer Singstimme bestehendes Stück mehr wird wiederholt werden“?

Im Dezember 1786 und Januar 1787 kommt es in Prag zu einem sensationellen Erfolg (der Mozart schließlich den Kompositionsauftrag für eine Don Giovanni-Oper einbringt). „– ich sah aber mit ganzem Vergnügen zu,“ schreibt Mozart am 15.1.1787 an Gottfried von Jaquin aus Prag, „wie alle diese leute auf die Musick meines figaro, in lauter Contre=tänze und teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen; – denn hier wird von nichts gesprochen als vom – figaro; nichts gespielt, geblasen, gesungen und gepfiffen als – figaro: keine Opera besucht als – figaro und Ewig figaro; gewis grosse Ehre für mich. –“ Und er schließt: „Mittwoch werde ich hier den figaro sehen und hören, – wenn ich nicht bis dahin taub und blind werde. – Vieleicht werde ich es erst nach der opera ---“   Dann schafft das Werk in einem zweiten Anlauf den Durchbruch in Wien. Ausgerechnet im August 1789, zwischen Bastillesturm und Menschenrechtserklärung, wird es wieder auf den Spielplan gesetzt und in Folge dreiundzwanzig Mal gespielt. Der Kaiser hegte gegen die Oper keine Einwände. Vielmehr kamen ausgerechnet auf sein Betreiben die ersten italienischen Aufführungen in Monza und Florenz und eine Festaufführung in Prag zur Hochzeit seiner Nichte zustande.

Joseph II.: Reformer und Despot, machtbewusst und manchmal aufgeschlossen, akribisch und manchmal großzügig, bürokratisch und manchmal weltmännisch. Ein Herrscher, dem Wohl seiner Untertanen und nicht minder dem Erhalt seiner Macht verpflichtet. Bei all dem kunstsinnig. Kein fader Schöngeist, sondern selbst musizierend tätig. Ein dilettierender Musiker mit Niveau. Repräsentant des so genannten aufgeklärten Absolutismus. Die Historiker bewerten ihn unterschiedlich. Manche legen das Gewicht auf die Aufklärung. Andere heben den absoluten Souverän hervor. Nur zusammen sind diese beiden Blickwinkel stimmig, so paradox sie zueinander auch scheinen. Auch wenn er freier denken mochte als viele vor und manche nach ihm, ein liberaler Freigeist war Joseph II. nicht. 1780 trat er die alleinige Regentschaft an. Während seiner Regierungszeit bis ins Jahr 1790 wurde in den böhmischen Ländern die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben. Klöster wurden aufgelöst, die nicht für das Gemeinwohl arbeiteten. Toleranzpatente erleichterten Protestanten und Juden ihr Dasein, schufen endlich so etwas wie religiöse Anerkennung. Die Folter wie die Todesstrafe wurden abgeschafft. Die Privilegien des Adels wurden empfindlich beschnitten. Das Rechtswesen wurde vereinheitlicht und ein für alle gültiger Instanzenweg geschaffen. Doch die Medaille des so genannten »Josephinismus« hatte deutlich zwei Seiten: Der Polizeistaat begann seine Netze zunehmend dichter zu knüpfen. Der Alltag wurde bis in Kleinigkeiten unsinnig reglementiert. Und religiöse Toleranz bedeutete im Falle der Juden zwar eine Duldung, noch immer aber keine bürgerlichen Rechte. In diesem aufgeklärten politischen Tauwetter lernte Wolfgang Amadé Mozart im Hause des Barons Raimund Wetzlar, ein getaufter Jude und späterer Taufpate seines ersten Kindes, einen weiteren Konvertiten kennen: Lorenzo Da Ponte.

Lorenzo Da Ponte (1749 – 1838), zunächst: Emanuele Conegliano. Er war der Sohn des jüdischen Lederhändlers Geremia Conegliano aus Ceneda (Vittorio Veneto) und empfängt 1763 die Taufe durch den dortigen Bischof, Monsignore Da Ponte. Er wird zum Priester bestimmt und nimmt den Namen des Bischofs an, der auch die Studien- und Unterhaltskosten bestreitet. Der nunmehrige Lorenzo wird 1773 zum Priester geweiht, ist als Erzieher an verschiedenen Seminaren tätig, Anhänger der Aufklärung, Bewunderer Rousseaus, Frauenheld. Ein Gedicht zum Thema „Der Mensch, von Natur aus frei, wird durch die Gesetze versklavt“ bringt die Mächtigen der Republik Venedig gefährlich gegen ihn auf. Seine öffentliche Infragestellung herrschender Gesellschaftsordnungen und seine gefährlichen Liebschaften gleichermaßen zwingen ihn zur Flucht aus der Lagunenstadt ins habsburgische Görz (heute Gorizia). Nach einem erfolglosen Zwischenspiel in Dresden trifft er 1782 in Wien ein und avanciert dort unter der Patronanz von Kaiser Joseph II. bald schon zu einem der einflussreichen kulturellen und geistigen Köpfe der Theater- und Musikstadt. Zehn Jahre bleibt er dort Librettist am kaiserlichen Hof: „poeta dei teatri imperiali“. Als Joseph II. im Jahr 1790 stirbt, verliert Da Ponte jene schützende Hand, die unentwegt und überzeugt an ihm festgehalten hatte. 1791/92 musste er – auch weil er zeitlebens ein Unbequemer geblieben war – Wien verlassen. In Triest lernt Da Ponte die wesentlich jüngere Nancy Grahl kennen und lieben, heiratet sie, geht mit ihr 1793 nach London, schließlich 1805 nach Amerika. Der einstige Poet und Operntextdichter schlägt sich nun mehr oder weniger erfolgreich als Impresario, Gemischtwarenkaufmann, Buchdrucker, Buchhändler, Sprachlehrer und Universitätsprofessor durch. Er stirbt 1838 in New York, neunundachzigjährig.

Der verbrämte Widerstand Lorenzo Da Ponte also berichtet von seinem Versprechen an Joseph II., Beaumarchais’ Figaro-Text bearbeitet zu haben. In der Tat hat er verknappt und gerafft. Doch sein Libretto ist kein entschärftes Extrakt des einst provozierenden Schauspiels. Bei aller Reduktion – oder sollte man nicht besser sagen: Verdichtung? – hat Lorenzo Da Ponte die Haltung der Figuren nicht antastet. Selbst wenn der große Figaro-Monolog aus dem V. Akt von Beaumarchais’ Komödie vordergründig keine Entsprechung fand, konnten doch die Schluss-Verse in Figaros Arie aus dem IV. Akt der Oper auch als Hinweis auf die gestrichenen brisanten Passagen verstanden werden: „Il resto nol dico, già ognuno lo sa! – Den Rest sag’ ich nicht, jedermann kennt ihn ohnehin!“

Oft zitiert, dabei genauso oft gerne rasch überlesen, wird zudem der Hinweis in der Besprechung in der Wiener Realzeitung vom 11. Juli 1786, der selbst wieder ein Zitat aus Beaumarchais’ Barbier ist: „Was in unsern Zeiten nicht erlaubt ist, gesagt zu werden, wird gesungen.“ Die Zeitgenossen hatten also sehr wohl verstanden, dass eine Haltung sich musikalisch auszudrücken vermochte. Man kann es drehen und wenden wie man will: Figaros „Se vuol ballare Signor Contino“ bleibt die grimmige Herausforderung eines Dieners an seinen Herrn nicht nur deshalb, weil er sich kühn den Ton des höfischen Menuetts aneignet. (Wie es übrigens auch Susanna tut, wenn sie im II. Akt aus dem Kabinett und dem Grafen gegenüber tritt.) Mozart hat es auch verstanden, dieses „Wenn Sie tanzen wollen, Herr Gräflein …“ in einen unmissverständlich drohenden musikalischen Gestus umzusetzen. Der Graf wird im III. Akt mit seiner Aria „Vedrò mentre io sospiro“ musikalisch den Fehdehandschuh aufgreifen.

Einst gehörten Figaro und der Graf Almaviva wohl zusammen wie Leporello und Don Giovanni. Liest man im Barbier von Sevilla nach, ist es einmal fast eine Kumpelei gewesen. Doch nun will der Herr dem Knecht die Braut ausspannen. Der provozierte Diener bietet seinem adligen Vorgesetzten nicht nur die Stirn, er fordert ihn heraus. Die Frage nach dem Ursprung dieser Aufforderung zum Tanz hebt ihre gesellschaftspolitische Brisanz nicht auf. Ihr ist eine antifeudale Grundhaltung eingeschrieben. Mozart, dem der Fußtritt des Grafen Arco nicht der einzige unangenehme Gedanke an so manche Hofschranze war, trägt dem aufrührerischen Zeitgeist Rechnung. Und er bekommt bald auch eine andere dafür präsentiert: Denn es scheint, wie Georg Knepler meint, „eine Art von Entfremdung zu den Freunden und Beschützern der ersten Wiener Jahre eingetreten zu sein, und die Annahme liegt nahe, dass Mozart seit dem Figaro manchen seiner früheren Freunde zu radikal war. Es bleibt anzumerken, dass der Kaiser, zu dessen Politik ja die Beschränkung adliger Privilegien gehörte, gegen die Oper, noch dazu in italienischer Sprache, weniger einzuwenden hatte als manche, die rangmäßig dem Grafen Almaviva näher standen.“ Allerdings: Die Auseinandersetzung des aufstrebenden Bürgertums mit dem Adel versickert ohnehin in der Mitte des Stückes. Im III. Akt beginnt die »Revolution« der Gräfin und Susanna gegen die Männer. Fern jeder Standesfrage entspinnt sich die Intrige gegen den Grafen, von der Figaro kein Wort erfährt. Was nun ins Rollen gebracht wird, ist ausschließlich eine Sache der Frauen.

Über allem liegt die umfassende Sinnfälligkeit des Zusammenspiels der Tonarten. Der Blick auf die kluge Architektonik der ganzen Komposition lässt immer wieder jene strenge Konstruktion erkennen, auf der das Werk ruht. Um nur Beispiele zu nennen: Der D-Dur-Rahmen, welcher sich von der Sinfonia zum Finale der Oper spannt. Die fallende Quintenreihe D – G – C, die den I. Akt bestimmt. Dessen innere Abfolge ab Cherubinos Arie „Non so più cosa son, cosa faccio“ Es – B – G – C, die sich noch zweimal wiederholt: in den ersten fünf Nummern vor dem Finale des II. Aktes sowie zu Beginn dieses fast spiegelbildlich angelegten Finales selbst (Es – B – G – C – F – B – Es). Das Finale des IV. Aktes, das innerhalb seines D-Dur Rahmens zum Teil die Tonarten des Finales des II. Aktes (G und Es) und, zählt man Susannas Aria „Deh vieni non tardar“ hinzu, auch F-Dur aufgreift.

Der Schluss liegt nahe, dass über das Spiel der Tonarten auch inhaltliche Bezüge zwischen den Arien und Ensembles mitzudenken sind. Wenn beispielsweise die erste Arie der Gräfin „Porgi amor“ wie Cherubinos vorangegangenes „Non son più cosa son, cosa faccio“ in Es-Dur notiert ist, kann von Zufall kaum die Rede sein. In Beaumarchais’ Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter wird die Gräfin einen Sohn vom mittlerweile im Feld gefallenen Cherubino haben. Später lassen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal dieses Verhältnis in Der Rosenkavalier durch die Marschallin und den jungen Grafen Octavian Gestalt werden. Und singt nicht das einzige Liebesduett in Le nozze di Figaro der Graf ausgerechnet mit Susanna? Das anfängliche a-moll des Duettinos „Crudel! perchè finora farmi languir così?“ wandelt sich bald in A-Dur: Eine Tonart, über die Christian Friedrich Daniel Schubart in seinen 1784/85 verfassten Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst vermerkt, sie enthalte „Erklärung unschuldiger Liebe, Zufriedenheit über seinen Zustand; Hoffnung des Wiedersehens beym Scheiden des Geliebten.“

Mozart komponiert nicht wertfrei. Nicht, wenn es um Liebe geht; nicht wenn es um Schmerz geht; auch dann nicht, wenn es um eine aufrührerische Grundhaltung geht. Vielleicht aber liegt das eigentlich Revolutionäre von Mozarts Musik darin, dass er politische Revolte wie erotische Wirrungen, den gesellschaftlichen Grimm wie die Unberechenbarkeiten der Liebe aufgreift, mitkomponiert, auskomponiert, gleichzeitig aber darüber weit hinausgeht. Wenn das Ende des tollen Tages in Le nozze di Figaro herannaht, stehen wir vor einer von – wie Georg Knepler einmal in anderem Zusammenhang schreibt – „Mozarts vielen Unbegreiflichkeiten“. Denn hier entwirft Mozart für kurze Zeit in den wenigen Takten des Andante jenes Utopia, das bis heute keine Revolution der Welt erreichen konnte. „Als rein Innenweltliches darf Versöhnung (...) walten: kein befristeter Brückenschlag zwischen Oben und Unten, sondern“, so Ivan Nagel in seiner Essay-Sammlung Autonomie und Gnade, „das tägliche Miteinander von Gleichen als Probe möglicher Menschlichkeit in der Menschenwelt – der einzigen, die sie haben.“ Doch schon die Schlusstakte des Allegro assai wirbeln wieder alles auf und durcheinander. Wer weiß, wie’s weitergeht.

© Oliver Binder, 2007 / 2009 - Erschienen im Programmheft zur ›Figaro‹-Inszenierung von Christian von Götz an der Oper Köln (Bühne und Kostüme: Julia Hansen) am 29. September 2007. Unter Verwendung von Beiträgen für das Programmheft zur ›Figaro‹-Inszenierung von Thomas Krupa an der Oper Dortmund (Bühne: Hans Martin Scholder, Kostüme: Eva Dessecker) am 18. April 2004,   für das Programmheft zur ›Figaro‹-Inszenierung von Lutz Hochstraate am Salzburger Landestheater (Bühne und Kostüme: Carlo Tommasi) am 13. Jänner 1996 und für das Programmheft zur ›Figaro‹-Inszenierung von Michael Heltau nach Giorgio Strehler am Theater an der Wien im Rahmen der Wiener Festwochen (Bühne: Ezio Frigerio, Kostüme: Franca Squarciapino) am 18. Juni 2001.

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