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Ende gut, alles gut?

Georg Friedrich Händel: ›Giulio Cesare in Egitto‹ (2007)

Krieg auf der Opernbühne Nein. Wir sollten sie nicht vergessen, die Feldherren von heute, wenn die Feldherren von damals auf der Opernbühne stehen. Wie rasch entgleitet ins Unverbindliche und Gefällige, was sich als ausgemachte Krise trauernd hinter hübscher Fassade verbirgt. Krieg ist kein Kinderspiel. Freilich haben in ihm das Lachen und die Liebe, das Verlachen und die Lust ihren Platz. Aus Trotz, aus Verzweiflung, aus Verlangen. Vielleicht auch wegen der Sache mit der Utopie. Die jedoch wird nur allzu oft von der Geschichte widerlegt. Liebe im Krieg - eine Chimäre? „Das is wohl nur Chimäre", ließ Johann Nestroy einst spotten, „aber mich unterhalt's." Sich zu unterhalten, indem man sich was vormacht, vermag mitunter zu trösten. Staatenlenker als Menschen mit Herz beispielsweise: was für eine absatzträchtige Titelgeschichte. Kriegstreiber aus Mitgefühl: welch wirkungsvolle Imagepolitur. Dazwischen, daneben, dahinter geistern täglich neu die Bilder der Invasionen über die Monitore. Den Frieden will man sichern, sagt man. Am Ende stiehlt man sich verlustreich wieder davon und lässt noch größeres Unglück zurück. Militärischen Operationen mangelt, das ist furchtbar menschlich, das Menschliche. Auch durch die prächtigste Musik wird der grausame Grund einer Geschichte, die zwischen Heerlagern und Herrscherhäusern spielt, nicht hinfällig. Es herrscht Krieg in Georg Friedrich Händels Oper Giulio Cesare in Egitto. Krieg auf römischer Seite zwischen Cesare und Pompeo. Krieg in Ägypten zwischen den ehelich verbundenen Geschwistern Cleopatra und Tolomeo. Krieg ist nicht schön und die Verantwortlichen sind keine ehrbaren Helden.

Natürlich. Diese wunderbare Musik. Welche Eleganz, welche Pracht, welche Schönheit! „›Warum bin ich vergänglich, o Zeus?‹ so fragte die Schönheit. / ›Macht' ich doch‹, sagte der Gott, ›nur das Vergängliche schön.‹" (Goethe, Xenien). Schönheit ist wesenhaft todgeweiht. Schönheit ist oft auch aus Schmerz geboren. Das mindert sie nicht. Und: Sie taucht das Schreckliche meist in schmerzhaftes Licht. Peter Handke, der von vielen - vielleicht vorsätzlich - so dümmlich Miss- und Unverstandene, gibt eine Ahnung davon, wenn er erzählt von den Schwalbenknickflügen im Sommerhimmelmorgen vor seiner Fahrt nach Srebrenica. Der Klage eignet in der Kunst, weil diese zu verfeinern strebt, nicht die Bitternis allein. Eine Klage bleibt sie trotzdem, in hohe Form gefasst, um Tod und Verderben zu ertragen. Die Musik kultiviert die Klage im Lamento, und Händels Giulio Cesare ist von diesen Lamenti durchdrungen. Cornelias Trauer und Sestos Zorn begleiten unnachgiebig die erotisch-verspielten Überspanntheiten der herrschaftlichen Personnage. Doch auch die ist vor Erschütterungen nicht gefeit. Schon Cesares Ansprache auf den toten Pompeo, mag sie auch rhetorisch und der Staatsraison geschuldet sein, umweht streng der Atem auch der eigenen Vergänglichkeit. Vom Sterben („Se pietà di me non senti, giusto ciel, io morirò") und vom Weinen („Piangerò la sorte mia") singt bald auch Cleopatra. Und wenn Cesare, knapp dem Tod entronnen, das rettende Ufer erreicht, kreisen seine Melodien um Erbarmen („pietà"), Schmerz („dolor"), Waffen („arme") und Leichen („estinti"). Die Harmonien zu all dem zielen auf den Missklang des Lebens. Findet sich im Weh weit eher die Wahrhaftigkeit wieder? Das feudale Glück zumindest erstarrt am Ende in barockem Ziergesang. Das ist eine der möglichen Lesarten für ein so genanntes lieto fine.

Glück auf der Openbühne Manchmal ist es schwer zu ertragen, ein hohes Paar nicht glücklich zu sehen. In einer inszenierten Geschichte ahndet man rasch als Regelverstoß, was man im Boulevard voyeuristisch gerne zur Kenntnis nimmt. Vorgeschriebenes Glück muss sein. Dabei beglückt uns oft auch ein tragisches Ende: Wie ergriffen sind wir von all den Sterbenden auf der Opernbühne - Mimì, Violetta, Otello, Siegmund oder Lenski. Cesare und Cleopatra bleiben vorerst am Leben. Der historische Caesar fand sein Ende schon bald darauf. Er weilte nur kurz, einen potenziellen Erben (Caesarion) zeugend, bei Ägyptens Königin und verschied vier Jahre später in Rom unter den Dolchstößen der Verschwörer. Kleopatra VII. hatte noch achtzehn Jahre zu leben. Die letzte Königin des Ptolemäer-Reiches, der nach Caesar auch Marcus Antonius verfiel, beging 30 v.Chr. Selbstmord aus Furcht davor, wie eine Trophäe bei einem Siegeszug Octavians (dem Adoptivsohn Caesars und späteren Kaiser Augustus) in Rom vorgeführt zu werden. Ob durch injiziertes Gift oder tatsächlich durch eine Kobra - ihren Tod durch Schlangenbiss inszenierte sie höchst wirkungsvoll. Cesare und Cleopatra aber, die Kunstfiguren der Oper, zwingt vorerst ein hochgestimmtes Finale zusammen, das misstrauisch macht. Nach allem, was bisher geschah, mag sich Unbekümmertheit nicht einstellen. Der Krieg traumatisiert die Seele. Hinter dem schönen Schein dämmert das Scheitern herauf. „Die Katharsis kommt spät, aber gewaltig", schrieb das Hamburger Abendblatt anlässlich der Premiere von Karoline Grubers Giulio Cesare - Inszenierung. Jede Inszenierung deutet, legt aus, liest aufs Neue. Jede Lesart fordert Auseinandersetzung heraus. Auseinandersetzung hat im besten Falle Erkenntnis zur Folge. Begreifen und Ergriffenheit liegen nah beieinander.

Das Stichwort fiel: Katharsis. Das altgriechische Wort bedeutet Reinigung. Es wurde ursprünglich in theologischem und medizinischem Zusammenhang gebraucht. Als Aristoteles (384 - 322 v.Chr.) in seiner Poetik von Katharsis sprach, stellte er sie ins Zentrum seiner Tragödientheorie: Indem die Tragödie „Jammer" (éleos) und „Schaudern" (phóbos) bewirkt, löst sie eine „Reinigung" (katharsis) des Zuschauers von „eben derartigen Affekten" aus. Aristoteles begreift die Katharsis psychologisch als befreiende Affektentladung. Als man in der Neuzeit begann, die Antike wiederzuentdecken, wurden „Jammer und Schaudern" zu „Mitleid und Furcht". Die Katharsis wurde ethisch begriffen und sollte der sittlichen Läuterung des Zuschauers dienen. Pierre Corneille (1606 - 1684) war es dann, der die Tragödie zum Lehrstück formte. Das Mitleid wird beim Zuschauer durch das tragische Schicksal des tugendhaften Helden ausgelöst, der Schrecken durch die Abscheulichkeit des Tyrannen. Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781), der scharfsinnige Dichter der Aufklärung, sah in der Katharsis die „Verwandlung" der durch die Tragödie erregten Affekte „in tugendhafte Fertigkeiten". Dann kam Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) und beschrieb Katharsis als „heilige Vollendung", die Tragödie selbst als „Sühnegesang". Für Johann Wolfgang Goethe (1749 - 1832) dagegen war Katharsis die „aussöhnende Abrundung" der Tragödie. Das 20. Jahrhundert schließlich führte den Begriff wieder auf ihre antiken Wurzeln zurück. Mitten darin steht Bertolt Brecht (1898 - 1956), der - zumindest in der Theorie - die Katharsis auf rationalen statt auf emotionalen Boden stellte. Man sieht: Die Katharsis, gerne und rasch als Schlagwort gebraucht, ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Doch in welchem Licht auch immer man sie betrachtet: Gerade der Katharsis eignet das Prinzip Hoffnung. Den Finger auf Wunden zu legen heißt nicht, sie nicht heilen lassen zu wollen.

Ob sich Georg Friedrich Händel Gedanken über die Katharsis gemacht hat? Und ist denn Giulio Cesare in Egitto eine Tragödie? Der Untertitel weist das Werk als „dramma per musica" aus, als Schauspiel für Musik. Gattungsgeschichtlich ist es deutlich der opera seria, der ernsten Oper zuzuordnen. Zur Komödie taugt darin allenfalls das zunächst kindische Betragen Tolomeos. Als „effeminato amante", als „weibischen Liebhaber" verspottet ihn seine Schwester Cleopatra. Doch der Kindskopf Tolomeo hat bereits Köpfe rollen lassen. Pompeos Haupt wird Cesare als Gastgeschenk überbracht - wohl kein besonders anmutiger Anblick. Achilla, der dabei das Schwert geführt hat, wird die Ereignisse ebenfalls nicht überleben. Am Ende fällt auch Tolomeo von der Hand des zornigen jungen Mannes Sesto. Schön ist das alles nicht. Die Toten auf der Bühne sind an diesem Abend zwar nicht Legion, aber im Verhältnis zu den Überlebenden doch reichlich. Man muss schon sehr abgebrüht sein, um anschließend locker zu feiern und sich zuzuprosten. Zur Tagesordnung muss man nicht übergehen, die hat man ja nie verlassen. Das mit der Leichtigkeit ist zum Schluss eine schwere Sache. Händels Giulio Cesare macht den Krieg nicht zum Thema wie Les Troyens von Hector Berlioz oder La forza del destino von Giuseppe Verdi. (Letzterer übrigens nimmt dort mit der Kapuzinerpredigt aus Friedrich Schillers Wallenstein Bezug auf eines der stets aktuellsten Dramen überhaupt - dort nämlich kennt der Krieg keinen einzigen fraglos bewundernswerten Helden!) Doch das Private ist in einer barocken Haupt- und Staatsaktion von der Politik nur schwer zu trennen. Für Augenblicke vermag sie, die kläglichen Haudegen durch Lachen kenntlich zu machen. Zu einer Militär-Parodie, wie dies Gaetano Donizettis La fille du régiment oder Carl Millöckers Bettelstudent zu sein vermögen, fehlt ihr die Ironie. Nein, Giulio Cesare in Egitto ist keine komische Oper.

Zwischen Opulenz und Schrecken Aber was hat denn der barocke Sinnenzauberer Händel mit dem Krieg zu tun? Der genussfreudige Komponist hat wohl kein Schlachtfeld gesehen. Höchstens im Ausstechen von Konkurrenten hatte er sich zu beweisen gehabt. Das Handlungsgefüge der opera seria hingegen spielte sich so oder so mit großer Selbstverständlichkeit zwischen den verschiedensten Fronten ab. Wäre dies demnach alles vernachlässigbar und nebensächlich? Das so genannte barocke Zeitalter selbst war dem Dreißigjährigen Krieg entwachsen, der von 1618 bis 1648 halb Europa verbrannt hatte. Die Dichter des Frühbarock waren die Dichter des memento mori. Die Werke Hans Jakob Christoph von Grimmelshausens, Paul Gerhardts oder Andreas Gryphius' atmen noch ganz den Geruch der Verheerung. Ging man vielleicht deshalb dann mit Glanz und Gloria dagegen an? Wandte sich Händel, der Komponist von so verschwenderischer Klangpracht, vielleicht gezielt der Kurzweil zu? Er, der lustvolle Schöpfer von Wassermusik und Feuerwerksmusik? Doch war just diese Music for the Royal Fireworks am 21. April 1749 im Londoner Green Park zur Feier des Aachener Friedens das erste Mal aufgeführt worden. „12.000 Menschen waren meist zu Fuß zur Veranstaltung gekommen. Leider muss das Gebäude, das man konstruiert hatte, doch nicht massiv genug gewesen sein", so malt es der Schriftsteller Gert Jonke aus, „denn als auf dem Höhepunkt der Feier alles explodierte, niederbrannte und katastrophale Panik ausbrach, mag vielleicht Händel einer der wenigen gewesen sein, denen aufgefallen war, dass die letzten Toten dieses verbrannten Krieges auch die ersten Toten dieses neuen, schon angebrannten Friedens gewesen waren." Jedem Friedensschluss, den man feiert, geht ein Krieg voraus. Der Aachener Friede hatte den Österreichischen Erbfolgekrieg beendet, der 1740 durch den Einmarsch Friedrich II. von Preußen in Schlesien ausgelöst und in den 1742 auch England als Bündnispartner Österreichs hineingezogen worden war. Doch konnte dieser in Aachen geschlossene Frieden die Lage dauerhaft nicht entspannen. Händel war noch am Leben, als 1756 der Siebenjährige Krieg ausbrach, der im Interesse Englands nicht nur in Europa sondern auch in Übersee geführt wurde. Von den Wunden dieses Krieges erfahren wir dann in Lessings Minna von Barnhelm. Auch in den spanischen Erbfolgekrieg (1701 - 1713/14) war Georg Friedrich Händels Wahlheimat England mit hineingezogen. Anlässlich des diesen ersten Weltkrieg der Neuzeit beendenden Friedens von Utrecht (1713) schuf Händel ein feierliches Te Deum. Die aristokratische Welt rund um Händel war unentwegt damit beschäftigt, Macht- und Herrschaftsfragen in beständig wechselnden Bündnissen militärisch zu lösen. Vor solchem Hintergrund stellte nun Giulio Cesare in Egitto kein ungewöhnliches Handlungsgefüge vor.

Aber Händels Giulio Cesare in Egitto war als musikalisches Kunstwerk ersten Ranges ein weiterer Markstein in der Mythenbildung um die vermeintliche Romanze von Caesar und Kleopatra, auch wenn die historische Wahrheit weit entfernt ist von einem strahlenden Hollywood-Paar. Dabei hat gerade Hollywood der ägyptischen Königin und ihren römischen Liebhabern fulminante Denkmäler gesetzt. Schon die Verfilmung von 1934 (mit Claudette Colbert als Cleopatra, Henry Wilcoxon als Marcus Antonius und Warren William als Julius Caesar in der Regie von Cecil Blount DeMille) war oscargekrönt und mehrfach oscarnominiert. Ganz zu schweigen von Joseph Leo Mankiewicz Film mit Elizabeth Taylor (Cleopatra), Richard Burton (Marcus Antonius) und Rex Harrison (Julius Caesar) aus dem Jahr 1963. Die große Literatur konnte sich diesen Persönlichkeiten natürlich ebenso wenig versagen. Dabei ist bemerkenswert, dass ausgerechnet William Shakespeare eine Tragödie Julius Caesar (The Tragedy of Julius Caesar, 1599) und eine Marcus Antonius und Kleopatra (Antony and Cleopatra, um 1607) widmet, keine aber Kleopatra und Julius Caesar. Ein Feldherr der nach Ägypten kam, dort sah, siegte und bald darauf schon wieder das Weite suchte, bot im Gegensatz zum späteren Caesarenmord oder dem theatralen Abgang Kleopatras wohl kein adäquates Tragödienende. So trug denn auch Pierre Corneilles Drama den Namen des ermordeten Pompeius im Titel (La mort de Pompée, 1641). Vielleicht auch deshalb wandte sich der irische Dramatiker George Bernard Shaw mit Caesar and Cleopatra (1898) der Komödie zu. Thornton Wilders Roman Die Iden des März (The ides of march, 1948) und Bertolt Brechts Romanfragment Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar (entstanden 1937-1939, erschienen 1957) sollten in dieser sonst unendlich langen Reihe der literarischen Gestaltung des Stoffes nicht unerwähnt bleiben. Auch die bildende Kunst brachte vor allem zum Thema Kleopatra zahlreiche Meisterwerke quer durch die Jahrhunderte hervor. In unseren Tagen haben René Goscinny und Albert Uderzo mit ihrem Comic Asterix und Kleopatra (Astérix et Cléopâtre, 1965) der ägyptischen Königin ein wahrlich prägendes Profil verliehen. Auch das Bild Caesars haben die pointierten Federstriche Uderzos über die vielen Episoden der gallischen Krieger satirisch unvergleichlich mitgeprägt. Doch ist der Comic des 20. Jahrhunderts in der Tat ein weitaus anderes Genre als die opera seria des 17. und 18. Jahrhunderts. Hier war es unter anderem der Komponist Antonio Sartorio (1630 - 1680), der mit seinem 1676 in Venedig uraufgeführten „dramma per musica" Giulio Cesare in Egitto große Erfolge feiern konnte. Giacomo Francesco Bussani hatte das Libretto dazu verfasst, das fast fünfzig Jahre später Nicola Francesco Haym für Georg Friedrich Händel neu fassen sollte. Und fortan trug »sein« Giulio Cesare auf den Opernbühnen unangefochten den Sieg davon. Zumindest für den Komponisten Georg Friedrich Händel war am Ende meist alles gut.

© Oliver Binder, 2007 - Erschienen im Programmheft zur ›Giulio Cesare‹-Inszenierung von Karoline Gruber an der Oper Köln (Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Henrike Bromber) am 26. Mai 2007.

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