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Liebhaber und Literat.

Ein fragmentarischer Streifzug durch das Leben des Lorenzo Da Ponte (2006)

Von Ceneda nach New York Er kannte die Kaffeehäuser, die Wetten, das Spiel um Geld und Liebe. Er kannte all die Geschichten, die das Leben schrieb, und das es den Dichtern in die Feder diktiert hatte. Er kannte das Theater, seine Spieler, sein Publikum. Er kannte den Ruhm, die Verleumdung und den Kampf um Anerkennung. Als Lorenzo Da Ponte am 17. August 1838 in New York starb, ging nach fast neunzig Jahren das höchst beeindruckende Leben eines Poeten, Operntextdichters, Impresarios, Gemischtwarenkaufmanns, Buchdruckers, Buchhändlers, Sprachlehrers und Universitätsprofessors zu Ende. Auf den Gemälden, die ihn in Amerika als alten Mann zeigen, blickt er uns gleichsam in Gestalt seines Don Alfonso an. Ein „vecchio filosofo" nun auch er, mit charmanter Eitelkeit auf sein Recht bedacht und seine Erfahrung pochend. Dabei war die Wirklichkeit nicht immer seiner Vorstellung von Wahrheit gefolgt. Was er aber in seinen 1823 erschienenen Lebenserinnerungen berichtete, hat sich zumindest im Kern auch so zugetragen.

Manches allerdings verschweigt Lorenzo Da Ponte dort auch. Zum Beispiel, dass er - geboren am 10. März 1749 in Ceneda (heute Vittorio Veneto) - Sohn des jüdischen Lederhändlers Geremia Conegliano und seiner Frau Rachele Pincherle war und Emanuele hieß. 1754 starb seine Mutter. 1763 heiratete sein Vater ein zweites Mal, nun eine Christin, Orsola Pasqua Paietta. Aus diesem Grund trat die gesamte Familie - Geremia mit seinen drei Söhnen - zum Christentum über. Mit großem Pomp fand am 29. August des Jahres die Taufe durch den Bischof von Ceneda statt. Der bisherige Emanuele Conegliano trägt fortan dessen Namen: Lorenzo Da Ponte. Er tritt in das Priesterseminar von Ceneda ein und begegnet dort den Meisterwerken italienischer Dichtung. Dante, Petrarca, Ariost, Tasso. Seine späten dreiunddreißig amerikanischen, zumeist New Yorker Jahre waren auch erfüllt von einem nahezu missionarischen Eifer, der italienischen Sprache und Literatur zu ihrem Recht in der neuen Welt zu verhelfen. Dafür hat man ihn geschätzt, damit konnte er manchem aber auch gehörig auf die Nerven gehen.

Den jungen Da Ponte versetzte die so detailreiche Kenntnis dieser Sprache nun schon bald in die Lage, mit ungeheurem Stilbewusstsein - so trefflich wie treffend - selbst Sprache zu formen. Zudem war ihm dadurch ein schier unerschöpfliches Reich von Erzählstoffen zu Eigen. 1765 erhielt er die niederen Weihen, setzte drei Jahre später seine Studien am Priesterseminar in Portogruaro fort und unterrichtete dort bereits 1770 selbst Literatur. Am 27. März 1773 wurde Lorenzo Da Ponte zum Priester (Abbate) geweiht und hielt seine erste Messe. Sein späteres Schweigen über seine jüdische Herkunft ist durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass er sich selbst im verhältnismäßig aufgeklärten und toleranten Wien antijüdischen Schmähungen - mal offen, mal versteckt - ausgesetzt sah. Mitte des letzten Jahrhunderts hatte dann auch das Nazi-Regime seine liebe Not mit dem gar nicht so „arischen" Librettisten des großen „deutschen" Komponisten Mozart. Zum Teil verleugnete man nun einfach Da Pontes Namen. Aber auch die deutschen Übersetzungen galt es zu „arisieren", stammte die gebräuchlichste doch von Hermann Levi. Der Reichskulturpolitik genehme Textfassungen der Mozart / Da Ponte - Opern in deutscher Sprache erstellten dann Siegfried Anheißer und Georg Schünemann. Schünemanns Bearbeitungen werden noch heute für die Klavierauszüge der Edition Peters verwendet.

Als im Jahr 1805 Lorenzo Da Ponte nach Amerika über setzte, folgte er damit seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau Nancy, die dorthin zu ihrer Familie gereist war. Anna Celestina Ernestina „Nancy" Grahl war die Tochter eines englischen Kaufmannes, die Da Ponte 1792 in Triest kennengelernt und in einer trauungsähnlichen Zeremonie ziemlich rasch geheiratet hatte. Das Paar ging zunächst nach London, wo Da Ponte mit wechselndem Glück bis 1804 am King's Theatre am Haymarket wirkte, und Nancy das Theatercafé betrieb. Nancy starb am 12. Dezember 1831 nach 39 Jahren gemeinsamer Ehe, mit der Da Ponte auch der Zeit seines unbeständigen Liebeslebens ein Ende gesetzt zu haben scheint.

Der Libertin Davor hatte der Abbate Lorenzo Da Ponte die Wechselfälle der Liebe wahrlich ausgekostet. Im Figaro, im Giovanni, in Così wetterleuchtet so manche Erfahrung seines Lebens im Hintergrund. Dass Da Ponte 1773 Portogruaro verlässt, um sich in dem so sinnenreichen, lustvollen, verruchten, musikalischen, inspirierenden und aufregenden Venedig niederzulassen, hat wohl auch mit der ersten Dame seines Herzens zu tun, deren Namen wir kennen: Angiola Tiepolo. Schon seit 1770 dürften die beiden ein Verhältnis gehabt haben. Just in jenem Jahr 1773, als Angiola ihr zweites Kind gebar und ihr weitaus älterer Mann sie verließ um Priester zu werden, kam der Priester Da Ponte nach Venedig um das Leben mit Angiola zu genießen. Zwischenzeitlich riss er sich davon los, auch vom Glücksspiel, vorübergehend auch von Venedig. Er unterrichtete, verfasste Verse im Sinne Rousseaus, musste sich dafür vor Gericht verantworten, das ihm die Lehrerlaubnis für die gesamte Republik Venedig entzog. Ein Gedicht zum Thema „Der Mensch, von Natur aus frei, wird durch die Gesetze versklavt" brachte die Mächtigen gefährlich gegen ihn auf.

Zum Fallstrick geriet ihm, der durch seinen Witz, seine aufklärerische Haltung, vermutlich auch durch seinen Erfolg in der Damenwelt vielen Venezianern ein Dorn im Auge war, nun aber die Affäre mit einer anderen Angioletta. Diese war verheiratet mit Carlo Bellaudi und berüchtigt für ihr freizügiges Leben. Und das teilte sie vorübergehend mit Lorenzo Da Ponte. Ins Maul eines steinernen Löwen, das anonymen Anzeigen diente, steckte man einen Brief, der Da Ponte auf die Anklagebank bringen sollte: Er zeuge mit der Ehefrau eines anderen uneheliche Kinder und füge ehrenwerten Familien Schaden zu. Zum christlichen Glauben sei er übergetreten, um diesen in Misskredit zu bringen - einer der vielen »kleinen« antijüdischen Ausfälle, die ihm zeitlebens begegneten. Er hätte im Priesterrock in einem Bordell mit der Geige aufgespielt - doch nirgendwo sonst findet sich ein ernstzunehmender Hinweis, dass Da Ponte je ein Instrument gelernt hätte. Diese und noch mehr vermeintliche Beweise, um ihn eines lasterhaften und skandalösen Lebenswandels zu zeihen, waren ins Ungeheuerliche ausgeschmückt. Dass er Vater eines der Kinder von Angioletta Bellaudi war, ist allerdings nicht undenkbar. Inoffiziell viel schlimmer aber schien gewesen zu sein, dass er in Gedichten Partei für Giorgio Pisani ergriffen hatte, einen der führenden Köpfe der politischen Opposition. Und über die Causa Angioletta versuchte man ihn nun offiziell zu Fall zu bringen. Als deswegen am 13. September 1779 ein Haftbefehl gegen ihn erging, befand sich Lorenzo Da Ponte bereits außerhalb der Republik Venedig im habsburgischen Görz (das heute italienische Gorizia an der Grenze zu Slowenien).

Viel hatte der Flüchtige nicht bei sich. Auf jeden Fall aber eine Petrarca-Ausgabe und einen Band Horaz. Ob sich in Görz die Begegnung mit seiner dortigen Locandiera tatsächlich in Form jener Wirtshaus-Pastorelle zutrug, wie Da Ponte sie in seinen Lebenserinnerungen nachzeichnet, oder sich auch eine Prise Mirandolina-Atmosphäre à la Goldoni beimischt, tut nicht viel zur Sache. „Zehn, zwölf Tage verbrachte ich in der Locanda dieser Frau. Jeden Tag plauderten wir, bald das Wörterbuch, bald die Grammatik in der Hand, vier, fünf Stunden, fast immer über den gleichen Gegenstand, und stets endete es mit einem ‚Ich liebe Euch'. Schließlich fand ich mich im Besitz eines ganzen Vokabulars, das fast nur aus Liebesworten und -sätzen bestand. Es war mir hernach bei meinen weiteren Eroberungen in Görz und anderswo sehr nützlich gewesen."

In Görz aber, wo Da Ponte schließlich zwei Jahre zubrachte, hatte er sich durch seine spitze Feder ebenfalls wenige aber doch Feinde geschaffen. Ein fingierter Brief rief ihn nach Dresden, wo ihn angeblich der dortige Hofpoet Caterino Mazzolà erwarten wollte. Mazzolà war von Da Pontes Ankunft zwar erfreut, aber nicht weniger überrascht. Und bald merkte er, dass ihm in dem wortgewandten und originellen Kollegen ein ernstzunehmender Konkurrent erwuchs. Mazzolà tat für beide das Beste: Er stattete Da Ponte mit einem Empfehlungsschreiben an den Komponisten Antonio Salieri für den Wiener Hof aus. Da Ponte machte sich auf den Weg, traf im Dezember 1781 in Wien ein und blieb dort schließlich erfolgreich als Opernlibrettist bis ins Jahr 1791.

Am Wiener Hof Lorenzo Da Ponte gelangte durch Antonio Salieri, zu jener Zeit Kammerkompositeur am kaiserlichen Hof, rasch in den inneren Zirkel um Joseph II., der als allein regierender Kaiser seit 1780 ein umfangreiches Reformwerk begonnen hatte. Neben der Aufhebung der Leibeigenschaft der böhmischen Bauern, der Auflösung von nicht für das Gemeinwohl arbeitenden Klöstern, der Abschaffung der Folter wie der Todesstrafe erleichterten auch Toleranzpatente den Protestanten und Juden ihr Dasein. Wobei diese »religiöse Toleranz« im Falle der Juden zwar eine Duldung, noch immer aber keine bürgerlichen Rechte bedeutete. In diesem aufgeklärten politischen Tauwetter avancierte Da Ponte unter der Patronanz Kaiser Joseph II. bald schon zu einem der einflussreichen kulturellen und geistigen Köpfe der Theater- und Musikstadt Wien. Hier lernte er Wolfgang Amadé Mozart kennen, der sich ebenfalls 1781 in Wien niedergelassen hatte. Die beiden trafen das erste Mal im Hause des Barons Raimund Wetzlar aufeinander, ein wie Da Ponte getaufter Jude und späterer Taufpate von Mozarts erstem Kind.

1783 ernannte Joseph II. ihn zum Dichter der italienischen Oper am Burgtheater. „Wir haben hier einen gewissen abate da Ponte als poeten", berichtete Mozart an seinen Vater, „dieser hat nunmehro mit der Correctur im Theater rasend zu tun." Da Pontes Aufgaben galten in der Tat nicht nur dem Verfassen von neuen Libretti, sondern auch dem beständigen Anpassen und Abändern bereits bestehender Bühnenwerke. Für das eine oder andere erotische Abenteuer wird er dabei wohl auch in Wien Zeit gefunden haben. Auch wenn er behauptet, er sei in jenes Mädchen nicht verliebt gewesen, dessen eifersüchtiger Verehrer ihm ein Mittel gegen ein schmerzhaftes Geschwür im Mund verabreichte. Dieses Mittel stellte sich - zu spät - als „Scheidewasser" heraus, eine Mischung aus Schwefel- und Salpetersäure. Das Geschwür verschwand, aber innerhalb kürzester Zeit fielen Da Ponte sämtliche Zähne aus.

1785 kam es zur ersten Zusammenarbeit mit Mozart, der die Vertonung von Beaumarchais vorrevolutionärer Komödie La folle journée ou Le mariage de Figaro vorgeschlagen hatte. Dieser erste Geniestreich des Duos Mozart und Da Ponte gelangte als Le nozze di Figaro am 1. Mai 1786 in Wien zur Uraufführung. Der Erfolg des Figaro bei seiner Prager Erstaufführung war so überwältigend, dass Mozart mit dem Auftrag zu einer neuen Oper wieder nach Wien reiste. Abermals solle Da Ponte das Libretto verfassen, der gleichzeitig nun auch für Vicente Martín y Soler liefern musste und Antonio Salieri mit einer Neufassung des in Paris erfolgreichen Tarare (nun unter dem Titel Axur, Re d'Ormus) versorgte. „Ich wählte für Mozart den Don Giovanni, ein Gegenstand, der ihm ungemein gefiel, und für Martini L'arbore di Diana." Der Kaiser stand dem Arbeitspensum Da Pontes skeptisch gegenüber. Doch der antwortete seiner Majestät: „Nachts schreibe ich für Mozart und denke dabei an Dantes Inferno. Morgens schreibe ich für Martini, und das ist so gut, als studierte ich Petrarca. Abends für Salieri, und das ist mein Tasso." Und er fährt in der Erzählung fort: „Ein schönes sechzehnjähriges Mädchen - ich hätte es nur wie meine Tochter lieben sollen, nun ja … - wohnte in meinem Haus mit der Mutter, die das Hauswesen besorgte. Die Kleine kam herein, sooft ich schellte, und das tat ich, wenn ich ehrlich sein soll, recht oft und besonders sooft ich merkte, dass mein poetisches Feuer zu erkalten begann. (…) Kurz, das Mädchen war bei diesen drei Opern meine Muse und blieb es hernach bei allen Versen, die ich im Verlauf weiterer sechs Jahre schrieb."

Così fan tutte Wir wissen nicht, wer diese Muse war. Aber wir wissen, welche Affäre Da Pontes die Zeit rund um Così fan tutte begleitete: Die Sopranistin Adriana Gabrieli del Bene, nach ihrer Heimatstadt »La Ferrarese« genannt, debütierte in Wien mit Martín y Solers L'arbore Diana. Sie war rasch die Primadonna assoluta der Wiener Oper. Und ebenso rasch war sie die einerseits heimliche (sie war verheiratet mit dem Diplomaten Luigi del Bene) andererseits gar nicht so heimliche (denn »man« wusste davon) Geliebte Lorenzo Da Pontes. Der tat nun alles, um seiner Ferrarese den Erfolg zu sichern. Als am 12. Dezember 1789 auf ein Libretto Da Pontes La cifra von Antonio Salieri erstmals aufgeführt wurde, war sie die erste Eurilla. Und sie war die erste Fiordiligi in der nur wenig später, am 26. Januar 1790, uraufgeführten Così fan tutte zur Musik Wolfgang Amadé Mozarts. Die Darstellerin der Dorabella, Louise Villeneuve (auch Luisa Vilnova) war vermutlich ihre tatsächliche Schwester. Wohl deswegen vermerkt das Personenverzeichnis zu Così fan tutte zu Fiordiligi und Dorabella verschmitzt: „Dame Ferraresi e sorelle, abitanti in Napoli / Damen aus Ferrara und Schwestern, in Neapel wohnend".

Zu Così fan tutte notierte Lorenzo Da Ponte in seinen Lebenserinnerungen nichts weiter als: „Dann schrieb ich als dritte Oper für Mozart La scola degli amanti." Über die Ferrarese aber berichtet er: „Diese für mich verhängnisvolle Künstlerin war, wie ich bereits sagte, dem Theater trotz aller Mängel ihrer Persönlichkeit und ihres Charakters zweifellos von größtem Nutzen. (…) Teils aus Liebe, teils aus einem Sinn für Gerechtigkeit, vor allem aber zum Wohl des Theaters, um das ich mich kümmerte, als gehöre es mir persönlich, verteidigte ich die Ferrarese mit gezogenem Degen: ihr Vertrag lief nur noch kurze Zeit. Eine andere Sängerin war bereits verpflichtet, und diese war eine ausgesprochene Favoritin sowohl des Monarchen wie seiner Gemahlin." Der Monarch war mittlerweile Leopold II. Denn Joseph II. war Anfang 1790 verstorben, und mit ihm hatte Da Ponte jene schützende Hand verloren, die unentwegt und überzeugt an ihm festgehalten hatte. 1791/92 musste er Wien verlassen. Die Ferrarese reiste nach Venedig. Da Ponte nach Triest. Unschön ist, dass er von dort versuchte, den Gatten der Ferrarese bei den venezianischen Behörden wegen Spionage für den Vatikan zu denunzieren, um für sich selber eine gnadenvolle Rückkehr in die Heimat zu erwirken. Doch dazu kam es nicht. In Triest lernte Da Ponte nun Nancy Grahl kennen, heiratete sie, ging mit ihr 1793 nach London, 1805 nach Amerika. Doch diese zweite Hälfte seines Lebens will andernorts erzählt werden.

© Oliver Binder, 2006 / 2007 - Erschienen im Programmheft zur ›Così fan tutte‹-Inszenierung von Michael Hampe an der Oper Köln (Bühne und Kostüme: Carlo Tommasi) am 11. Oktober 2006.

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