Oliver.Binder.gif

Verwandlungen.

›Der Sommernachtstraum‹ eines gewissen Herrn ›Shakespeare‹ (2010)

Chaos und Ordnung Sicher ist nur, dass nichts sicher ist. Kaum einer kann sich auf den anderen verlassen. Die Welt des Sommernachtstraums ist aus den Fugen. Manches fügt sich dann plötzlich und scheinbar unbegreiflich immer wieder neu. Im streng hierarchischen Gebilde von zauberkundigen Feenkönigswesen, einflussreichen Machtmenschen, deren verzogenen Kindern und einer engagierten Arbeiterschaft werden fortwährend die Grenzen überschritten. Wie es einem Traum geziemt, der – wie das Theater – am Ende die Wirklichkeit besser begreifen lassen könnte, bevölkert eine bunte Welt von Wesen dieses Stück. Paarweise treten sie in Erscheinung. Und die Fragen ihrer Paarungen, im doppelten Sinne, bestimmen den Verlauf der Geschichte.

Titania und Oberon: Dem ranghöchsten Paar, als Feenkönigin und Feenkönig nur scheinbar dem Menschlichen entrückt, ist nichts Menschliches fremd. Märchenhaft ist ihre Sphäre vor allem insofern, als Märchen die Abgründe und Ungeheuerlichkeiten des Lebens ausleuchten. Ihre Krise ist konkret. Einen Knaben aus Indien hat Titania in ihre Obhut genommen, den Oberon viel lieber in seinem Gefolge sähe. Ganz gleich, ob nun Prestige oder Erotik dabei die größere Rolle spielen: Der Streit um den hübschen Jungen hat Titania und Oberon entzweit und gleichzeitig damit die Welt ins Wanken gebracht. Weil die Harmonie auf höchster Ebene gestört ist, beschließt zur Strafe die Natur aus dem Gleichgewicht zu geraten. Das Naturgeisterherrscherpaar herrscht eben nicht über die Natur selbst. Erst nachdem Titania – betreten über ihre Liebesnacht mit dem in einen Esel verwandelten Handwerker Zettel – Oberon den Inderknaben überlässt, ist der Frieden wieder hergestellt. Vielleicht aber hat diese animalische Affäre Titania mehr erfüllt als ihr bei Tag bewusst und Oberon lieb ist.

Das Paar Theseus und Hippolyta – der Mächtige und seine zukünftige Ehefrau – repräsentiert die Macht der Menschen über Menschen. Die Erwartung ihrer Hochzeit und das Fest danach bilden den Rahmen des Stücks. Hippolyta heiratet nicht freiwillig. Es ist eine erzwungene Verbindung. Von Liebe oder Leidenschaft kann nicht die Rede sein, viel aber von Kalkül und Vernunft. In einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft regiert Theseus, Hippolyta agiert neben ihm als First Lady: in ihren Funktionen ein ungleiches Paar. In Theseus’ Herrschaftsbereich gilt unbarmherzig altes Väterrecht. Väter wie Egeus bestimmen, wen ihre Töchter zu heiraten haben. Widerstand scheint zwecklos: es drohen Kloster oder Tod. Theseus muss, will er seine Macht behalten, dafür sorgen, dass die Gesetze, auf der sie gegründet ist, nicht ins wanken geraten.

Dieser Klasse entstammen die zwei so genannten Liebespaare. Sie sind die nächste Generation, Wohlstandskinder. Eines von ihnen, Hermia, will sich von der bevormundenden Tradition der Eltern nicht in die Knie zwingen lassen. Ihre unbeugsame Leidenschaft ist die Sprengkraft, die das verkrustete Gesellschaftssystem bedroht. Im folgenden Reigen der Neigungen der jungen Menschen sind es die Frauen, die unbeirrbar klare und konstante Vorstellungen haben: Hermia liebt Lysander. Helena liebt Demetrius. Daran wird sich das ganze Stück über nichts ändern. Es sind die Männer, die schwanken: Demetrius liebt vor Stückbeginn noch Helena, dann zu Stückbeginn plötzlich Hermia, schließlich (weil Oberon eingreift) durch den Saft der Zauberblume wieder Helena. Lysander liebt Hermia, dann (weil ein Puck sich irrt) durch den Saft der Zauberblume Helena, am Ende (weil ein Puck seinen Irrtum korrigiert) abermals durch den Saft der Zauberblume wieder Hermia. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet der selbst so promiskuitive Oberon hier mitfühlendes Interesse aufbringt, die jungen Paare in Ordnung zu bringen.

Pyramus und Thisbe, das unglückliche Paar: Als Geschichte in der Geschichte gerät ihre Tragödie durch die Aufführung einer Gruppe von Handwerkern zur Komödie. Ausgerechnet aus Anlass der Hochzeitsfeierlichkeiten von Theseus und Hippolyta spielen in der Regie von Peter Squenz die Hauptdarsteller Zettel und Flaut mit ihren Kollegen Schlucker, Schnock und Schnauz die Geschichte eines Paares, dessen Ausgangslage zum Teil an die von Hermia und Lysander erinnert, das allerdings nur im Tod zueinander finden kann: Die Familien von Pyramus und Thisbe sind verfeindet. Bei einem heimlichen Rendezvous flieht Thisbe vor einem Löwen. Pyramus findet nur ihren vom blutigen Maul des Löwen zerrissenen Mantel, glaubt Thisbe tot und ersticht sich. Als Thisbe zurückkehrt nimmt sie sich angesichts des toten Pyramus das Leben. – Das Pathos der Gefühle, dem Hermia, Lysander, Demetrius und Helena gerade noch ausgesetzt waren, wird unfreiwillig parodiert. Die Werktätigen, wahrhaft rührend in ihrem ernsthaften Einsatz, spiegeln leicht verzerrt mit ihrem Stück die Befindlichkeiten der Herrschaft.

Die Handwerkertruppe hat niemand, der ihr zur Hand gehen muss. Sie packt ihre Sache selbst an. Theseus steht für gesellschaftliche Arrangements aller Art immerhin sein umtriebiger Zeremonienmeister Philostrat zur Seite. Und ausgerechnet die Geisterwelt kommt nicht ohne dienstbare Geister aus: Ein Trupp von Elfen folgt Titania. An zarte und ätherische Wesen lassen ihre Namen allerdings nicht denken. Bohnenblüte, Senfsamen, Spinnweb und Motte sind vielmehr Zutaten für allerlei schaurig-magisches Gebräu. „Titanias Hof stelle ich mir“, schreibt Jan Kott in seinem wegweisenden Sommernachtstraum-Essay, „als besabberte, zahnlose und zittrige Greise und alte Weiber vor.“ Auch Oberon beschäftigt einen zwielichtigen Adlatus. Sein Puck hat maßgeblichen Anteil am hormonellen Chaos der Liebespaare.

Eine Welt aus vielen Welten Das Figuren-Arsenal des Sommernachtstraums hat sein Dichter aus unterschiedlichen Quellen zusammengestellt, deren Kenntnisse ihn als hochgebildeten Mann ausweisen. Lateinische und französische Dichtungen liegen dem Werk ebenso zu Grunde wie Texte spätantiker Geschichtsschreibung. Hinweise auf das damals aktuelle historische Geschehen rund um Königin Elizabeth I. und ihre engste Umgebung weisen den Verfasser zudem als intimen Kenner des englischen Hofes aus. Aus den verschiedenen Vorlagen ist eine anspielungsreiche und grundlegend neue Geschichte entstanden.

Naturgemäß war einem englischen Literaten die Erzähltradition seiner Heimat eine lohnende Fundgrube. In den britischen Volkssagen finden sich die Abenteuer von Robin Goodfellow. Er heißt nicht Puck, er ist ein Puck: ›Puck‹ ist der Gattungsname für einen dämonischen Hausgeist, dessen schadenfroher Schabernack weit mehr mit vorsätzlicher Bosheit als mit neckischer Liebenswürdigkeit zu tun hat. Auf dem Theater steht er in der Tradition des Vice (Laster), einer variantenreichen Standardfigur von teuflischer Tücke und subversiver Komik.

In Englands großem Nationalepos, Geoffrey Chaucers (1340 – 1400) unvollendeter und erst 1478 gedruckten Novellensammlung Canterbury Tales, wird in der „Erzählung des Ritters“ von den beiden jungen Männern Arcitas und Palamon berichtet, die um die schöne Emilia kämpfen. Die Rivalität im Sommernachtstraum zwischen Demetrius und Lysander, die beide zunächst Interesse an Hermia haben und danach wegen Helena aneinander geraten, endet im Gegensatz zur Vorlage nicht tödlich. Den Rahmen der Liebestragödie bildet bei Chaucer ebenfalls der Hof des griechischen Helden Theseus und der von ihm erst besiegten und dann geehelichten Amazonenkönigin Hippolyta. Auch finden sich dort ein Page namens Philostrat und ein ehrwürdiger Bürger namens Egeus.

Für die Details der Figur des Theseus (der in der griechischen Sagenwelt unter anderem Bezwinger des Minotaurus war, Ariadne auf Naxos sitzen ließ, gegen die Amazonen ins Feld zog, dort Hippolyta bzw. Antiope gewann und sie für Phädra wieder verließ) hat der Verfasser des Sommernachtstraums auf ein Geschichtswerk von Plutarch (ca. 45 – ca. 120) zurückgegriffen. Dessen Parallel-Biografien großer Griechen und Römer waren im 16. Jahrhundert ins Deutsche, Italienische, Spanische und Französische übersetzt worden. Aus dem Französischen übertrug dann Thomas North das Werk 1579 ins Englische.

Aus dem anonymen französischen Versepos Huon de Bordeaux, das zwischen 1216 und 1232 entstanden ist und von Lord Berners 1533 ins Englische übersetzt worden war, stammt die Gestalt des mächtigen, so sanften wie schrecklichen, zwergenhaften Elfenkönigs Oberon. Man sieht ihn dort aus dem Dunkel des Waldes als „einen kleinen Mann hervortreten, nur drei Fuß hoch. Aber er war schön wie die Sommersonne. Seine Haare fielen in goldenen Locken auf seine Schultern.“ Später wird in englischen Volkssagen der Verdacht geweckt, Obreon [sic!] könnte auch der Vater des Pucks Robin Goodfellow sein.

In einer anderen fantastischen Abenteuergeschichte ist die Figur des tiergestaltigen Handwerkers Zettel vorgebildet. In dem im Jahr 175 erschienenen komischen Roman Metamorphoses (Verwandlungen) von Lucius Apuleius wird der erotomanische Jüngling Lucius kraft einer Zaubertinktur in einen Esel verwandelt, weshalb das Buch auch unter dem Titel Asinus aureus (Der goldene Esel) bekannt wurde. William Adlington hat es 1566 ins Englische übersetzt. Als Esel erlebt Lucius so manche Abenteuer und wird schließlich von einer vornehmen Dame als Liebhaber auserkoren. Ihr genussvoller Geschlechtsakt wird in der lateinischen Fabel mit einer Deutlichkeit geschildert, die das Verhältnis von Zettel und Titania immerhin ahnen lässt.

Ein anderes Buch mit dem Titel Verwandlungen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: In den Metamorphoseon libri des Ovid, jenem zwischen 1 v.Chr. und 10 n.Chr. entstandene epische Sagengedicht, das das Weltgeschehen von seinen mythischen Anfängen über die legendenhafte Götter- und Heldengeschichten bis hin zur politisch-historischen Gegenwart des Dichters nachzeichnet, ist die plötzliche aber fließende Umformung und Veränderung von Wesen, Dingen und Epochen zum Prinzip erhoben. Unter anderem findet sich darin die Geschichte von Pyramus und Thisbe. Sie ist Anlass, von der Verwandlung der Maulbeere zu erzählen, die von den Göttern aus Trauer über den Tod der Liebenden von Weiß in Schwarz umgefärbt wird. Ähnliches berichtet Oberon von der Blume „Lieb-im-Wahn“ („Love in idleness“), die durch die versehentliche Verwundung mit dem Pfeil des Liebesgottes Amor ihre Zauberkraft erhält und statt weiß nun purpurrot blüht. Zahlreiche weitere Detail des selbst so verwandlungsreichen Sommernachtstraums verweisen auf Ovids Meisterwerk. Von der Kenntnis der von Apollo verfolgten Daphne, die auf der Flucht vor dem Gott in den Lorbeerbaum verwandelt wurde bis hin zum Namen „Titania“, mit dem dort die keusche Mondgöttin Diana bezeichnet wird und im Stück eine der vielen Chiffren ist, mit der Englands „jungfräulicher“ Königin Elizabeth I. Reverenz erwiesen wird.

Die englische Übertragung der Metamorphosen des Ovid von Arthur Golding erschien im Jahr 1567. Arthur Golding war der Halbbruder von Margery Golding, die 1548 John de Vere, den 16. Earl of Oxford, geheiratet hatte. Am 12. April 1550 (nach dem heutigen Kalender: 22. April 1550) kam ihr Sohn zur Welt: Edward de Vere. Sein Onkel, der Gelehrte und Metamorphosen-Übersetzer Arthur Golding, wird den jungen Edward eine Zeit lang unterrichten und, neben anderen, für dessen umfassende humanistische Bildung sorgen. Später wird Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, unter dem Namen ›Shakespeare‹ Versepen, Sonette und Schauspiele verfassen. Unter anderem: A Midsummer Night’s DreamEin Sommernachtstraum, der zwischen 1584 und 1587 entstanden ist.

Die Maske des Dichters Das Spiel um Identitäten, die Suche nach dem möglichst wahren Ich (und Du) ist eines der Kennzeichen des ›Shakespeareschen‹ Werkes. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich, nun auch mit wissenschaftlicher Gewissheit, der Dichter ›Shakespeare‹ selbst als Kunst-Figur heraus, als Maske mit großbürgerlichem Künstlergesicht, hinter der sich ein literarisches Genie von Adel verborgen hatte. Vom Leben des Bürger-Schauspielers Shakspere [sic!], den die verhältnismäßig wenigen Dokumente auch Shaxpere, Shexpere oder Shackspeare nennen, weiß man fast nichts. Von Leben und Wirken Edward de Veres, des 17. Earls of Oxford, der seine Werke unter anderem unter dem Namen ›Shakespeare‹ publizierte, weiß man heute fast alles.

Als Person ist er natürlich historisch verbürgt, jener William Shakspere, der 1564 als Sohn eines Handschuhmachermeisters in Stratford-upon-Avon geboren wurde. Er heiratete dort 1582, wurde Vater von drei Kindern und verließ die Familie. Er tauchte 1594 als Mitglied einer angesehenen Schauspielertruppe in London auf und wurde deren Teilhaber. Er wohnte dann wieder in Stratford, wo seine Existenz durch Steuerschulden, Käufe und Verkäufe urkundlich bezeugt wurde. 1616 starb er als wohlhabender Hausbesitzer in seinem Geburtsort. Sein Testament, in dem jede Kleinigkeit seines Besitzes aufgeführt ist, spricht von keinen Büchern, von keinen Manuskripten. Eine Zeichnung der Büste seines Grabmals in Stratford aus dem Jahr 1640 zeigt noch jemanden, dessen angewinkelte Arme auf einem Kissen oder Wollsack ruhen: einen Kaufmann. Erst der erneuerten und heute bekannten Skulptur gab man 1748 Feder und Papier in die Hände. Nur diese ikonografisch nachträglich korrigierte Büste und ein Fingerzeig in der Werkausgabe (First Folio) von 1623 bringen den Mann aus Stratford mit dem Dichter ›Shakespeare‹ in Verbindung. Es waren dann vor allem die unmittelbaren Nachkommen des am 24. Juni 1604 verstorbenen Edward de Veres, die weiterhin großes Interesse daran hatten, das Inkognito des dichtenden Earls auch in Zukunft zu wahren.

In Adelskreisen galt es grundsätzlich für ungehörig, öffentlich als Poet in Erscheinung zu treten. „Für einen Lord wäre es lächerlich, Verse drucken zu lassen“, so der Gelehrte John Selden (1584 – 1654), „es genügt, wenn er sie zu seinem eigenen Vergnügen macht, aber sie zu veröffentlichen ist närrisch.“ Die Werke Edward de Veres erscheinen nachweislich unter Pseudonymen wie „Fortunatus Infoelix“, „My lucke is losse“, „Content“, „Ignoto“, „Phaeton“ und schließlich: „Shakespeare“. Der 17. Earl of Oxford war zudem nicht irgendein Adliger, er stand Englands Krone so nahe wie sonst nur wenige. Als Jugendlicher wuchs er, nach dem Tod seines Vaters, im Hause von William Cecil auf, dem Baron und Lord Burghley, der von Königin Elizabeth I. als Erster Staatssekretär eingesetzt worden war und in dieser Funktion vierzig Jahre lang neben der Regentin selbst die Geschicke des Landes lenkte. William Cecil war nicht nur Edward de Veres Vormund, sondern später auch sein Schwiegervater: Der Earl heiratete 1571 Anne Cecil. Eine ausführliche Reise in den Jahren 1575/76 durch Italien und Frankreich machte ihn, der auch des Lateinischen und Griechischen mächtig war, mit den Sprachen und Gegebenheiten dieser Länder bekannt. Die literarischen Vorlagen zu seinem Sommernachtstraum konnte er auch im jeweiligen Original gelesen haben.

Nach Anne Cecils Tod sollte ihre gemeinsame Tochter Elizabeth de Vere den Earl of Southampton, Henry Wriothesley, heiraten. Er war der geheimnisvolle Jüngling, an den die ersten Sonette ›Shakespeares‹ gerichtet sind, in denen der Dichter Edward de Vere seinen potenziellen Schwiegersohn – vergeblich – zur Hochzeit mit seiner Tochter drängt, von dessen Schönheit der Autor dann selbst zunehmend fasziniert ist (so wie auch Oberons Interesse an dem Inderknaben eine erotische Färbung nicht leugnen kann), und der sich dann auch in die Beziehung zwischen dem Autor und der in den Sonetten namenlosen „dark lady“ drängt: Elizabeth Trentham. Der Earl of Oxford heiratete die Lady 1591, deren Gefühle tatsächlich auch vom jungen Southampton erwidert wurde. Das gespannte Dreiecksverhältnis ist mittlerweile gut recherchiert. Dem Earl of Southampton ist 1593, als erstes unter dem Namen ›William Shakespeare‹ gedrucktes Werk, auch das Versepos Venus und Adonis zugeeignet. Darin wird der Widmungsträger von Edward de Vere im Hinblick auf sein neues Pseudonym als „der erste Erbe meiner Erfindung“ angesprochen.

Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass der Sommernachtstraum in Oberons Erzählung von der schön singenden, auf einem Delfin reitenden Priesterin, die von Amors Pfeil verfehlt wird, eine Szenerie des berühmten Festes auf Schloss Kenilworth aus dem Jahr 1575 evoziert. Fantasievolle Stratford-Biografen erdenken sich die Möglichkeit, dass das Kind William Shakspere bei diesen Feierlichkeiten Zaungast gewesen sein könnte. Tatsache ist, dass ein guter Freund Edward de Veres, der Dichtersoldat George Gascoigne, Spielleiter dieser Festivitäten geworden war. Die außergewöhnlich prunkvolle Veranstaltung wurde vom Grafen Leicester ausgerichtet, der sich zu diesem Zeitpunkt Hoffnungen auf die Hand der Königin machte.

Aus vielerlei politisch-strategischen Gründen aber blieb Elizabeth I. zeitlebens unverheiratet und pflegte einen, in der Kunst ihrer Zeit zudem überhöhnten, Jungfräulichkeitskult um ihre Person. Selbst das lange Werben des französischen Herzogs von Alençon, dem sie sich auf jeden Fall taktierend durchaus gewogen zeigte, schlug fehl. Amors Sommernachtstraum-Pfeil (= Alençon), der, vom keuschen Mond abgelenkt, die Jungfrau (= Elizabeth I.) verfehlt, ist ein Indiz dafür, dass das Stück nicht allzu lange nach Alençons Tod im Jahr 1584 entstanden sein dürfte. Dass die „orthodoxe“ Shakespeare-Forschung als Anlass der Uraufführung unter anderem ausgerechnet die Hochzeitsfeier von Edward de Veres Tochter Elizabeth mit dem Earl of Derby im Jahr 1595 vermutet, ist eines der vielen Beispiele, wie konsequent man lange Zeit wachen Auges an der Person des 17. Earl of Oxford vorbeigeschaut hat.

Es ist hier nicht der Platz, die zahlreichen wissenschaftlich akribischen Nachweise für die Tatsache zusammenzufassen, dass sich hinter dem Dichternamen ›William Shakespeare‹ Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford verbirgt. Ausführlich nachzulesen ist die so verblüffend stichhaltige Beweisführung in Kurt Kreilers Buch Der Mann, der Shakespeare erfand (Insel Verlag, 2009) und auf der Internetseite www.shake-speare-today.de

Herzens-
angelegenheiten
Dass man lange Zeit nach einer Hochzeitsfeier gesucht hat, die den Rahmen für die Uraufführung des Sommernachtstraums abgeben hätte können, ist verständlich: Bieten doch die Hochzeit von Theseus und Hippolyta, die dem Stück den Rahmen gibt, und die Aufführung der Handwerker wiederum vor dieser Hochzeitsgesellschaft innerhalb des Stückes, einen zumindest äußeren Anlass, eine konkrete Spur entdecken zu wollen. Allerdings könnte ein Stück, das vor allem von der Unbeständigkeit der Liebe erzählt, als Unterhaltungsprogramm für eine Hochzeitsgesellschaft durchaus eine Provokation darstellen. „Liebe bedeutet hier: ‚Neigung, im Auge erzeugt’. Das Herz hat da nichts zu suchen,“ hat Wystan Hugh Auden, der große englische Dichter des 20. Jahrhunderts, einmal konstatiert, „denn diese Welt wird vom Wunsch, nicht vom Willen regiert. Im Sommernachtstraum kommt es nicht darauf an, wer zuletzt wen heiratet, solange die Abenteuer der Liebenden ein gefälliges Muster bilden.“

Das amouröse Wechselspiel im Sommernachtstraum zeichnet sich durch die absolute Plötzlichkeit, die völlig überraschende Verwandlung aller Begierden aus. Die Gesetze der Logik scheinen außer Kraft gesetzt. Mit Vernunft ist diesen Wirrnissen, die gleichzeitig auch mit den heimlichen Sehnsüchten der Protagonisten zu tun haben mögen, nicht beizukommen. Wie sich bei Ovid die Maulbeeren aus Trauer über den Tod von Pyramus und Thisbe von Weiß zu Schwarz färben, wie im Stück selbst Amors Pfeil die weiße Blume verwundend sich röten lässt, so augen-blicklich „verlieben“ sich Demetrius und Lysander neu, so augen-blicklich schmilzt Titania beim Anblick Zettels als Esel dahin. Zwar werden ihre Augen von Oberon und Puck jeweils vom Zaubersaft der Blume „Lieb-im-Wahn“ beträuft, doch fällt auf, dass Lysanders Neigungswechsel passieren, nachdem ihm Hermia einen anderen Schlafplatz zugewiesen hat und nachdem sich herausgestellt hat, dass er bei Helena definitiv keine Chance hat. Auch Demetrius wendet sich Helena wieder zu, nachdem Hermia ihn wüst beschimpft hat. Wie der Liebestrank in der Geschichte von Tristan und Isolde, lässt sich der Liebesblumenzaubersaft im Sommernachtstraum auch als bloße Chiffre für tiefe und unbewusste Regungen begreifen.

Das Paar Zettel und Titania profitiert für diese Nacht von seinen jeweiligen Verwandlungen. „Dass Titania auch einen Esel herzen kann“, hat Karl Kraus einmal pointiert bemerkt, „wollen die Oberone nie verstehen, weil sie dank einer geringeren Geschlechtlichkeit nicht imstande wären, eine Eselin zu herzen. Dafür werden sie in der Liebe selbst zu Eseln.“ Zettels äußere Mutation geht in gegenläufiger Weise zudem einher mit verblüffenden inneren Wandlung: Mit einem Mal ist er tatsächlich geistreich und weiß nun ausgerechnet als Esel sich zu benehmen und gewandt auszudrücken. Und noch ein anderes hat es mit dieser Liebesnacht auf sich: Es kommt nicht nur zur Vereinigung eines Feenwesens mit einem Huftier, es teilen sich auch eine Königin und ein Arbeiter das Bett und finden dort für kurze Zeit ihr Glück. Die Erinnerung, die Zettel bei seinem Erwachen an seinen vermeintlichen Traum hat, ist von Verwunderung ebenso wie von Zufriedenheit bestimmt.

Etliche Jahrzehnte nach dem Zeitalter des 17. Earl of Oxford und der Königin Elizabeth I. werden es Handwerker wie der Weber Zettel sein, die dem englischen Adel höchst gefährlich werden, die noch weit vor der französischen Revolution den Aufstand proben und für kurze Zeit mit Gewalt eine Republik durchsetzen. Davon weiß der Sommernachtstraum freilich noch nichts. Hier proben die Handwerker „nur“ ein Theaterstück, über dessen Aufführung die Hochzeitsgesellschaft sich arrogant lustig macht und über die das Theaterpublikum hoffentlich von Herzen lacht. Und doch sollte man dabei nicht vergessen, dass sich die Mitglieder dieser Gruppe, dilettantisch zwar und deswegen sehr ernsthaft, in der hohen Kunst des Schauspiels versuchen. Wenn sie scheitern, geht es ihnen an den Kragen. Theaterspielen heißt im Besten Falle immer, um die Existenz zu kämpfen.

© Oliver Binder, 2010 – Online erschienen   zur ›Sommernachtstraum‹-Inszenierung von Werner Prinz bei den Schloss-Spielen Kobersdorf (Bühne: Erich Uiberlacker, Kostüme: Gerti Rindler-Schantl) am 6. Juli 2010.

Bottom.gif
 
esbleibtdabei.at Info-Logo